Razzia in Colditz: „Verfestigte Struktur rechtsextremer Clan-Kriminalität“

Im Innenausschuss kann der Landespolizeipräsident Vorwürfe gegen die sächsische Polizei entkräften. Doch es gibt weiter Fragen: Ist Colditz ein Beispiel für eine neue Art Verbrecher-Clan?

Den schlimmsten Verdacht konnte Landespolizeipräsident Jörg Kubiessa ausräumen. Nach der Sitzung des Innenausschusses waren die Fragen verstummt, warum keine sächsischen Beamten an der großen Drogenrazzia in Colditz beteiligt waren. Noch zu Beginn dieser Woche war gemutmaßt worden, dass Zoll und Bundespolizei ihren Kollegen im Freistaat misstraut hätten. Davon könne keine Rede sein, stellte Kubiessa nun klar: Bei Drogendelikten mit Grenzbezug sei eben der Zoll zuständig. Zudem hätten – entgegen erster Informationen – schließlich sechs Kriminaltechniker aus Sachsen die Tatorte mit abgesichert.

Der Fall Colditz dürfte damit trotzdem nicht abgeschlossen sein. Den Ausschussmitgliedern stellen sich nach wie vor Fragen: Sie betreffen nun nicht mehr die Vertrauenswürdigkeit der sächsischen Beamten. Aber sie sind nicht weniger unangenehm.

Mindestens 100 Verfahren gegen die Familie und ihr Umfeld

Die Hauptverdächtigen – Ralf N. und seine Söhne Andreas und Uwe – sind nicht nur mutmaßlich in der Drogenszene aktiv gewesen. Vielmehr sollen sie in rechtsextreme Strukturen eingebunden sein, die Kommune regelrecht tyrannisiert haben. Der Vorwurf lautet: Die sächsische Polizei habe zu lange weggeschaut – oder nicht den Mut gefunden, genauer hinzusehen.

Landespolizeipräsident Kubiessa wehrte sich entschieden dagegen: „Wir als Polizei lassen uns von niemandem einschüchtern.“ Von einer mindestens dreistelligen Anzahl an Ermittlungsverfahren, die die Polizei gegen die Familie N. und ihr Umfeld angestrebt habe, war nach dem Ausschuss die Rede. „Mindestens 100“ Verfahren seien es gewesen, sowohl Drogen- als auch Staatsschutzdelikte. Den Ausschussmitgliedern soll demnächst eine genaue Liste mit den einzelnen Delikten zur Verfügung gestellt werden.

„Rechte Strukturen hatten in Colditz sehr große Freiheiten“

Kubiessa selbst nannte keine genaue Zahl: Die Polizei hat in Colditz „auch umfangreich ermittelt“. Ein solcher Erfolg, wie ihn jetzt der Zoll erzielt habe, „war es uns bisher nicht gelungen“.

Die Parlamentarier verlangen Antworten, wieso die sächsische Polizeiarbeit keine Durchschlagskraft entwickelte. „Ich kann den Eindruck nachvollziehen, dass hier rechte Strukturen sehr große Freiheiten hatten, weil Behörden nicht in dem Maße gehandelt haben, wie es gut gewesen wäre“, sagte SPD-Innenexperte Albrecht Pallas. Man müsse zur Kenntnis nehmen, dass Colditz eine Stadt sei, „die seit einigen Jahren durch rechte Kräfte drangsaliert wird“.

Einen Fall wie Colditz gab es noch nicht in Sachsen

Viele Parlamentarier sehen in der Kleinstadt ein Musterbeispiel für eine neue Entwicklung. „So einen Fall hatten wir in Sachsen noch nicht“, sagte Kerstin Köditz (Linke), die die Region als Abgeordnete im Landtag vertritt. In anderen Bundesländern – beispielsweise in Thüringen – ist bereits zu sehen, dass die rechtsextreme Szene sich das Feld der organisierten Kriminalität erschließt.

In Colditz fehlen bislang die entscheidenden Beweise, dass es dort ähnlich wie in Thüringen gelagert ist. Aber Hinweise erkennen die Innenpolitiker schon. „Wir haben es in Colditz offenbar mit einer verfestigten Struktur von rechtsextremer Clan-Kriminalität zu gehabt“, sagte Valentin Lippmann (Grüne). „Die Verbindung von Rechtsextremisten und organisierter Kriminalität ist ein Punkt, den wir uns größtmöglicher Entschiedenheit widmen müssen.“ Nach wie vor wisse man nicht, wie die Szene sich finanziere, wo Geldströme beginnen und enden würden.

Polizei und Verfassungsschutz sollen sich austauschen

Ein Umstand kommt Rechtsextremen dabei zugute: Polizei und Verfassungsschutz müssen ihre Tätigkeitsfelder trennen. Im Bereich der Kriminalität hat der Verfassungsschutz keine Kompetenzen. Das bedeutet allerdings nicht, dass man Informationen nicht austauschen darf. Darauf verwies auch der Landespolizeipräsident. Die Erkenntnisse der Behörden sollten zusammengeführt werden, um Klarheit über kriminelle Strukturen von Rechtsextremen zu bekommen: „Das ist ein ständiger Prozess.“

Bisher ist die Erkenntnislage dürftig. Er könne über mögliche Strukturen in Sachsen nichts sagen, so Kubiessa. Die Razzia in Colditz sei aber ein „gutes Beispiel dafür, dass man zusammen mit allen Behörden in einem 360-Grad-Blick, aus den unterschiedlichen Perspektiven, solche Erfolge erzielen kann“. Das sollte künftig der Maßstab sein.